Eine Jugendliche schaut ihr Handy und ankommende Social Media Notifications an

Kommunikation in der Meta-Welt

Die sozialen Medien, das Leben und wir (Teil 1)

01.02.22 Wie die sozialen Medien unser Leben und die Entwicklung von Jugendlichen beeinflussen. Der erste Teil einer Themenreihe. Ein Blogbeitrag von unserer Moderator:in Nora.
#sozialemedien #selbstbild #kommunikation #freundschaft #digitalemedien #socialmedia

Meine 12-jährige Cousine schaut mich ganz entnervt an und rollt demonstrativ die Augen. „Das ist doch ganz leicht“, stöhnt sie. Sie möchte unbedingt mit mir ein TikTok-Video aufnehmen. Mit meinen 22 Jahren bin ich noch nicht wirklich alt, aber im Vergleich zu ihr fühle ich mich wie eine Oma. Sie zeigt mir im Schnelldurchlauf, welche Bewegungen ich gleich bei der Aufnahme machen soll. Meine Mimik verrät die Mischung aus Schock und absoluter Überforderung. In dem fertigen Video sehe ich auch dementsprechend aus. Unkoordinierte Bewegungen treffen auf ein fragendes und verwirrtes Gesicht. Bei meiner Cousine wirkt das eher wie Routinearbeit. TikTok und andere soziale Medien sind für sie bereits ein wichtiger Bestandteil des Alltags und Mittel der Kommunikation.

In meiner Kindheit war das Internet noch ein Mysterium. Auf meinem ersten Telefon, das man heute leicht mit einem Taschenrechner verwechseln könnte, gab es einen kleinen Internetbrowser, dessen genaue Funktion niemand wirklich kannte. Wir wussten nur: wenn man aus Versehen auf den Browser auf dem Handy kam, dann musste man schnell sein, wenn man nicht die nächsten Jahre die Handyrechnung abbezahlen wollte.

Als ich ein Teenager war, schwappte die Welle der sozialen Medien über. Alle hatten plötzlich einen Instagram-Account. Ich war spät dran und musste von einer Freundin überredet werden. Eine völlig neue Welt eröffnete sich mir. Vier Jahre später resümierte ich: es war keine schöne neue Welt. Ich beschloss, wieder in der analogen Welt heimisch zu werden. Ich entfolgte allen Influencern und begrenzte meine tägliche Instagram-Zeit auf fünf Minuten. Mein analoges Selbst gefällt mir mehr, dennoch verstehe ich die große Versuchung, die von der Möglichkeit einer digitalen Identität ausgeht.

Das Selbst ist nichts, das von vorherein da ist, es ist nicht einfach so angeboren. Unser Selbst und unsere Selbstkenntnis entwickeln sich im Laufe unseres Lebens durch die Interaktion mit anderen (Zhao, 2005). Wie wir uns selbst sehen, wird auch größtenteils davon bestimmt, wie andere uns sehen und auf uns reagieren. In unserer Kindheit prägen hauptsächlich unsere Eltern unser Selbstbild. Mit zunehmendem Alter steigt auch der Einfluss von Peers, von Freunden und anderen Gleichaltrigen, auf unsere Selbstwahrnehmung und unser Selbstbild. Andere Menschen werden zu Vorbildern und prägen unsere Idee davon, wer wir sein wollen. Durch das Internet und die sozialen Medien wird unsere Umwelt nun von einer weiteren Komponente bestimmt. Unser Selbst wird nun auch in der digitalen Welt geformt und wir entwickeln ein digitales Selbst (Zhao, 2005).

Im Jahr 2020 gaben laut Statista 95% der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren an, täglich oder mindestens wöchentlich soziale Netzwerke zu benutzen. Die tägliche Nutzungsdauer beträgt dabei durchschnittlich 241 Minuten. Mädchen nutzen laut Statista 33% ihrer Zeit auf Social Media für Kommunikation (Whatsapp, Direct Messages etc.), bei Jungen sind es 23%. Der Anteil der Inhalte, die zur Unterhaltung genutzt werden, wie beispielsweise Musik, Videos und Bilder, ist laut einer Umfrage von 18% im Jahr 2008 auf 34% im Jahr 2020 gestiegen. Gerade in Zeiten von Corona, wo uns Social Distancing und Lockdowns in der physischen Welt voneinander getrennt haben, haben uns Instagram und Whatsapp in der Meta-Welt miteinander verbunden. So zeigt sich, dass Jugendliche durchaus von der Nutzung digitaler Medien profitieren, indem sie Kommunikation, soziale Beziehungen und auch technische Fähigkeiten verbessern (Schurgin O’Keeffe & Clarke Pearson, 2011).

Sichere und zuverlässige Bindungen zu Gleichaltrigen herzustellen ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe, die es in der Adoleszenz zu bewältigen gilt. Mithilfe von sozialen Medien versuchen die Jugendlichen dieser Aufgabe gerecht zu werden und stabile Beziehungen zu anderen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, sowie sich ein soziales Netzwerk aufzubauen. Die sozialen Medien werden von Jugendlichen daher meist genutzt, um Zeit mit anderen zu verbringen, gemeinsam Pläne auszumachen, die alltäglichen Themen zu besprechen und auch mal Klatsch und Tratsch auszutauschen (Subrahmanyam & Greenfield, 2008). Somit geben die sozialen Medien Jugendlichen einen Raum, um sich mit Freunden zu verbinden, die sie aus dem analogen Leben kennen. Außerdem bietet sich die Möglichkeit in Kontakt mit Menschen zu treten, die sie sonst niemals kennengelernt hätten und Freundschaften über die ganze Welt hinweg zu knüpfen (Reid & Weigle, 2014).

Die sozialen Medien können für Jugendliche eine bereichernde Ergänzung zu ihren offline Freundschaften darstellen und den Ausbau und Erhalt von Beziehungen fördern. Jedoch können diese Entwicklungsaufgaben nur ergänzend durch die digitale Kommunikation erfolgreich bewältigt werden. Das vorherige Bestehen von Freundschaften in der analogen Welt bleibt unabdingbar.

Meine Cousine und ich konnten bei Betrachten unseres Videos immerhin herzlich über meinen misslungenen ersten TikTok-Versuch lachen. Es sollte bis heute auch mein einziger bleiben. Vielleicht werde ich eines Tages anders darüber denken und den sozialen Medien mehr Raum in meinem Leben geben. Denn eins ist klar: die sozialen Medien werden bleiben und weitere Veränderungen mit sich bringen. Davor brauchen wir uns alle vielleicht aber gar nicht zu fürchten, schließlich sagte bereits Francis Picabia: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“

Literatur

Reid, D. & Weigle, P. Social Media Use among Adolescents: Benefits and Risks. Adolescent Psychiatry, 4, DOI: 73-80. 2210-6774/14 $58.00+.00.

Schurgin O’Keeffe, G. & Clarke-Pearson, K. (2011). Clinical Report—The Impact of Social Media on Children, Adolescents, and Families. American Academy of Pediatrics, 127(4), 800-804.

Subrahmanyam, K. & Greenfiled, P. (2008). Online communication and adolescent relationships. The Future of Children, 18(1), 119-146.

Weidenbach, B. (2021a). Statistiken zur Mediennutzung von Jugendlichen. Abgerufen am 11.12.2021 unter: https://de.statista.com/themen/2662/mediennutzung-von-jugendlichen/#topicHeader__wrapper

Weidenbach, B. (2021b). Schwerpunkte der Internetnutzung von Jugendlichen 2020 (nach Geschlecht). Abgerufen am 11.12.2021 unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/29696/umfrage/inhaltliche-verteilung-der-internetnutzung-durch-jugendliche-nach-geschlecht/

Weidenbach, B. (2021c). Schwerpunkte der Internetnutzung von Jugendlichen bis 2020. Abgerufen am 11.12.2021 unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/29694/umfrage/inhaltliche-verteilung-der-internetnutzung-durch-jugendliche-ab-2008/

Zhao, S. (2011). The digital self: Through the looking glass of telecopresent others. Symbolic Interaction, 28(3), 387-405. https://doi.org/10.1525/si.2005.28.3.387