Eine Jugendliche sitzt traurig vor einem Weihnachtsbaum und Kamin

Mensch ärgere Dich

23.12.21 Warum es wichtig ist, auch an Feiertagen und im Licht des funkelnden Weihnachtsbaumes über Angst und Wut zu sprechen. In diesem Blogbeitrag von unserer Moderator:in Nora blicken wir kurz vor den Feiertagen auf unsere Gefühle und wie wir sie regulieren.
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Die Weihnachtstage stehen kurz vor der Tür und ich bin schon voller Vorfreude, die Zeit mit meinen Eltern zu verbringen. Seit meiner Kindheit haben wir einige Weihnachtstraditionen. Das Schmücken des Baums, das Weihnachtsessen, die Bescherung und das Spiele spielen. Warum ich die Weihnachtszeit mit meiner Familie als so schön und beruhigend empfinde, wurde mir erst bewusst, als ich älter war. Auch an Weihnachten gab es bei uns mal Streit und Ärger. Meine Mutter im Kleid, mein Vater im Hemd, neben den Geschenken, im Licht des geschmückten Weihnachtsbaums. Wir blieben auch an Heiligabend und den Feiertagen immer wir selbst, mit all unseren schönen, aber auch den eher unangenehmeren Gefühlen. Ich hatte nie das Gefühl, mich an Weihnachten verstellen zu müssen oder etwas anderes außer dem Weihnachtsbraten und den vielen Süßigkeiten runterschlucken zu müssen. Wenn es etwas gab, das einen von uns störte, sprachen wir es an. Es herrscht keine (belastende) „Harmoniepflicht“. Weihnachten ist vielmehr eine harmonische Belastung.

In einigen Familien steht jedoch der Weihnachtsfrieden im Vordergrund des Geschehens – es muss harmonisch sein. Probleme müssen verschwiegen, negative Emotionen heruntergeschluckt und Konflikte dürfen nicht ausgetragen werden. Der festliche Zauber darf nicht durch Wut und Angst seine Magie verlieren. Kinder und Jugendliche fühlen sich dann nicht selten mit ihren Krisen und Unsicherheiten allein. Die negativen Emotionen, die nicht kommuniziert und nicht nach außen getragen werden (dürfen), stauen sich immer weiter auf, bis es nicht mehr geht. Du kannst Dir das vorstellen wie einen Ball, den man unter Wasser drückt – irgendwann kann man ihn nicht mehr festhalten und dann flitscht er mit viel Kraft aus dem Wasser.

Emotionsregulation zu erlernen ist eine wichtige Aufgabe, die es in der Entwicklung zu bewältigen gilt. Emotionsregulation beschreibt dabei all jene Prozesse, durch die das Auftreten, die Form und die Intensität von Emotionen moduliert, ausgelöst oder gehemmt werden (Thompson, 1994). Die Emotionsregulation ist von besonderer Bedeutung für den späteren Umgang mit stressigen oder neuen Situationen, die die eigenen Empfindungen maßgeblich verändern. In der Kindheit sind wir noch auf die Hilfe unserer Eltern angewiesen, um unsere Emotionen zu regulieren (Morris, Silk, Steinberg, Myers & Robinson, 2007). In der Adoleszenz entwickeln wir unabhängigere Strategien, um uns von unseren Eltern abzugrenzen und Autonomie zu entwickeln. Zu diesen Strategien gehören auch die Unterdrückung und das Verstecken von Emotionen (Lougheed & Hollenstein, 2012). Diese beiden Strategien dienen dabei der Modifikation von emotionalen und verhaltensmäßigen Antworten auf einen emotionalen Reiz, sobald dieser eine Emotion ausgelöst hat (Gross, 2001, Loughheed & Hollenstein, 2012). Das Unterdrücken und Verdrängen von Emotionen steht dabei unter anderem in Zusammenhang mit Schwierigkeiten bei der Überwindung negativer Emotionen, Störungen der zwischenmenschlichen Kommunikation und der Anfälligkeit für psychosoziale Probleme (Gross, 2001, Szasz, Szentagotai & Hofmann, 2011). Stattdessen erwies sich, dass die Methode, angstauslösende Situationen emotional neu zu bewerten, das subjektive Angsterleben signifikant reduzieren kann (Hofmann, Heering, Sawyer & Asnaani, 2009).

Die Familie und insbesondere unsere Eltern nehmen in der Kindheit eine prägende Rolle in der Entwicklung von Emotionsregulationsstrategien ein. Bestrafen Eltern ihre Kinder, wenn diese ihre negativen Emotionen zeigen, kann dies zu unangemessenen Emotionsregulationsstrategien führen (Morris, Silk, Steinberg, Myers & Robinson, 2007). Werden Kinder hingegen von ihren Eltern darin bestärkt, dass sie auch mal negative Emotionen zulassen und zeigen Eltern ihnen Wege, um Gefühle wie Angst und Wut erfolgreich zu bewältigen und auszuhalten, kann dies das Kompetenzerleben der Kinder fördern (Morris et al., 2007). Morris et al. (2007) betonen daher die Wichtigkeit, ein sicheres und stabiles Umfeld zu schaffen, in dem Kinder und Jugendliche sich akzeptiert und frei fühlen, die eigenen Gefühle zu zeigen. Durch das Ausleben und Aushalten von negativen Gefühlen in einem angemessenen Rahmen kann jede/r ein Vorbild sein. Wir können anderen damit helfen mehr über Emotionen und ihre Regulation zu lernen und zu erfahren, wie man mit negativen Gefühlen umgehen kann (Morris et al., 2007).

Sich mit seinen Eltern zu streiten ist, auch wenn es für die Entwicklung in der Adoleszenz ein durchaus wichtiger Schritt ist, nicht immer leicht und sicherlich nicht schön. Doch ziehen wir aus diesen Konflikten wichtige Erfahrungen und lernen, unsere Emotionen in unserem späteren Leben besser verstehen und einstellen zu können. Auch wenn die Weihnachtstage eine besinnliche Zeit sind und wir uns wünschen, in dieser Zeit so wenig Ärger und Angst wie möglich zu verspüren, können wir diese Gefühle nicht (langfristig) umgehen. Es ist nicht immer leicht, diese Gefühle auszuhalten, mit ihnen umzugehen und sich von ihnen abzugrenzen. Doch auch Wut und Angst gehören zum Leben dazu und darüber zu sprechen kann mehr Harmonie schaffen, als dass es jeder Festlichkeit schadet.

Ich könnte mich nicht mehr auf die anstehenden Weihnachtstage freuen. Gemeinsam mit meinen Eltern, viel gutem Essen, auch mal einer kleinen Prise Ärger und zum Abschluss der ein oder anderen Runde Mensch ärgere dich nicht. Denn wie sagte doch Ernst Horst Bellermann so schön: „Ein Ärger kann erfreulich sein, ist er nicht dein.“ So kann es manchmal befreiend sein, sich einmal aufzuregen und dem eigenen Ärger Luft zu machen. Schließlich ärgern sich bei „Mensch ärgere dich nicht“ alle einmal.

Literatur

Gross, J. J. (2001). Emotion regulation in adulthood: Timing is everything. Current Directions in Psychological Science, 10, 214–219. doi: 10.1111/1467-8721.00152  

Hofmann, S. G., Heering, S., Sawyer, A. T., & Asnaani, A. (2009). How to handle anxiety: The effects of reappraisal, acceptance, and suppression strategies on anxious arousal. Behaviour research and therapy, 47(5), 389–394. https://doi.org/10.1016/j.brat.2009.02.010

Lougheed, J. P. & Hollenstein, T. (2012). A Limited Repertoire of Emotion Regulation Strategies is Associated with Internalizing Problems in Adolescence. Social Development, 21(4), 704-721. https://doi.org/10.1111/j.1467-9507.2012.00663.x

Morris, A. S., Silk, J. S., Steinberg, L., Myers, S. S., & Robinson, L. R. (2007). The role of the family context in the development of emotion regulation. Social Development, 16, 361–388. doi: 10.1111/j.1467-9507.2007.00389.x

Szasz, P. L., Szentagotai, A., & Hofmann, S. G. (2011). The effect of emotion regulation strategies on anger. Behaviour Research and Therapy, 49, 114–119. doi: 10.1016/j.brat.2010. 11.011  

Thompson, R. A. (1994). Emotion regulation: A theme in search of definition. Monographs of the Society for Research in Child Development, 59, 25–52, 250–283.